2017 01 29 Für Artikel Kunst Leben genießen 1

Categorie: Prosa Artikel

0a Germany

Die Kunst, das Leben zu genießen!

Meine Patentante feiert heute ihren 91.(!) Geburtstag.
Das ist wieder einmal ein Grund für mich, darüber nachzudenken, wie man das Leben am besten "meistern" kann ;-))

Wenn ich mich mit meiner Tante unterhalte, fällt mir eines auf - sie ist unglaublich fit - und das nicht nur körperlich betrachtet
sondern ganz besonders auf geistigem Gebiet. Man kann sich mit ihr wirklich über alles unterhalten - über Gott & die Welt -
und das ist wirklich wörtlich zu nehmen.
Selbst die aktuellsten Entwicklungen in Politik und Wirtschaft kennt sie,
sie geht auch noch zum Französisch - und zum Englisch-Unterricht (!) , um ihre Sprachfähigkeit zu erhalten,
bis vor kurzem hat sie noch  Klavier gespielt und ist bis zum letzten Jahr noch selbst Auto gefahren.
Selbst meine Kinder sagen, sie hätte "eine erstaunliche Offenheit" für alles Neue!
Neulich sagte sie zu mir: "Ach, hätte ich gewusst, dass ich soooo alt werde, hätte ich mir auch ein Smartphone gekauft
und mich noch mit dem Internet befasst...!!!!!"

Ich konnte nur schmunzeln, war aber sehr beeindruckt!

Die Frage, die sich mir stellt - wie kommt so etwas?
Andere Leute halten sich ja auch fit, treiben viel Sport, sind geistig auch rege, essen gesund, schreiben manchmal
sogar noch Bücher im hohen Alter.....

"Ach weißt Du", sagt sie dann auf meine Frage, "ich habe gar nichts Besonderes gemacht......,  wie das eben früher so war...
....habe ich meine Kinder groß gezogen, gearbeitet, meinen Mann beerdigt, habe alles auf meine Weise geregelt.....
war auch viel mit den Kindern unterwegs...., hatte auch viel Kummer........................;-((
...doch ich habe versucht, die schönen Seiten des Lebens zu sehen....

......es bringt ja nichts, sich über etwas aufzuregen, was ich nicht ändern kann.....!

..ich habe den Kindern und uns gemeinsam ein schönes Leben ermöglicht....
Aber - ich habe auch an MICH gedacht, mich rechtzeitig auszuruhen....Ich glaube, ich habe einen gesunden Egoismus,
und das bedeutet, auch mal an mich zu denken....
Wenn ich nicht konnte oder mich nicht gut fühlte, habe ich mich hingelegt und ausgeruht...
Und wenn das Wetter schön war, bin ich mit den Kindern zum Baden gefahren und habe die Wäsche erst abends gewaschen....
Und arbeitsmäßig: ich hätte einen anderen Job haben können, doch dann hätte ich kaum Zeit für die Kinder gehabt....
also habe ich nur so viele Stunden gearbeitet wie unbedingt nötig....
Ich musste nicht überall die Schönste/Beste/Größte/Erfolgreichste sein....!"

Ja, dieser Punkt scheint mir ganz entscheidend zu sein. Heutzutage ist der Leistungsdruck dermaßen hoch - und man gilt nur
als "erfolgreich", wenn man das tollste Haus besitzt, 3x im Jahr in den Urlaub fahren kann, sogar der "Zweitwagen" der Familie
auch noch die "Nachbarn vor Neid erblassen" lässt - und man dafür natürlich rund um die Uhr arbeiten muss.....!!!

Wenn ich früher die Sparkassen-Werbung im Fernsehen gesehen habe - "mein Haus, mein Auto, mein Boot".... -  hätte ich
immer "reinschlagen können"....!
Ich finde, DAS sind die typischen Klischees vom Wohlstand und "Glücklich-sein"!
Aber GENAU DAS macht eben NICHT ein GANZES LEBEN LANG glücklich!!!!

Ich glaube, das "Maß" ist einer der Knackpunkte.
Natürlich braucht man ein Auto (die wenigsten Leute kommen ohne aus so wie ich), man braucht auch ein Heim für seine
Familie, vielleicht auch einen Garten als Rückzugsort oder zur Entspannung, auch schöne Reisen ....
(sie hat die ganze Welt bereist!), auch Urlaube zum Ausruhen...sind wichtig....
Nur - finde ich - dafür "rund um die Uhr zu arbeiten oder meinen arbeiten zu müssen" - das kann auf Dauer
nicht gut gehen....Manch einer wird vorzeitig krank...

"Ich koche auch gern", spricht meine Tante weiter, "nichts Besonderes, nur viel Gemüse (!), viel aus dem Garten,
was unsere Umgebung so hergibt, ich esse auch nicht zu viel....Manchmal trinke ich ein Gläschen Wein....,
...mache nachmittags einen Spaziergang an frischer Luft und abends ruhe ich mich aus oder schaue einen Film...
Und: ich helfe auch gern noch im Haus oder bin mit den Enkelkindern unterwegs.
Doch ich höre immer auf meinen Körper: wenn ich müde bin, erzwinge ich nichts, dann gehe ich früh schlafen...."

Ja, ich verstehe ganz genau, was sie meint!!

Es geht natürlich im Alltagsleben nicht immer, dass man sich sofort ausruht, wenn man müde ist,
doch ich habe ihre Botschaft verstanden:

Ein gesundes Maß an Arbeit und Entspannung - und den Augenblick genießen - genauso wie er gerade ist!
DAS ist die große Kunst!

Es scheint nur im Täglichen so schwer machbar zu sein.....;-((

Also schlage ich vor, dass wir öfter mal einen Moment "innehalten" und uns dann erinnern, wie schön das Leben ist!

Schon dieser eine Moment wird uns gut tun und uns dabei helfen, das Leben - länger - zu genießen!!

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Widmung: für meine liebe M. - eine großartige Frau!

2017 01 29 Für Artikel Kunst Leben genießen 2 am Rhein Teil
                                                                                                       Foto via D.V.Frankfurt/Main, In den Weinbergen am Rhein

****************************************Angelika Seel Copyright, Venlo 29.01.2017***************************************

Update November 2022:
Inzwischen ist meine liebe M. fast 97 (!) Jahre alt, ist gesund und munter (welch ein Glück!) und hat noch immer
Spaß am Leben bzw. hat nicht einen einzigen Tag Langeweile - da sie versteht, das Beste aus jeder Situation
zu machen und noch immer das Leben zu genießen!
Ist das nicht wundervoll? !!!!!

Selbst momentan - in Zeiten von Corona - sagte sie heute zu mir am Telefon (sinngemäß):
"Weißt Du, ich habe so viel Schlimmes erlebt, auch den Krieg.....und wer sowas je erlebt hat....Haus & Hof verloren,
liebe Menschen verloren, selbst vertrieben.....mit nichts wieder angefangen....auch Krankheiten durchstanden....
etc. etc. - wer so was je erlebt hat,
wird demütig und dankbar für all das Schöne, was heutzutage im Leben vorhanden ist!.......
Auch Corona wird vorbei gehen....Ich kann junge Menschen nicht verstehen, die das negieren oder alles zerstören
aus Wut....weil ihnen langweilig ist oder sie nicht feiern können....Wir haben doch auch eine Verantwortung
für unsere Mitmenschen!..............selbst nach dem Krieg, wo alles zerstört war und es nichts gab, habe ich mich
an einem Baum, einer Blume erfreut oder war gerührt, als ein Vogel sang....."

Ja! Ich kann sehr gut verstehen, was sie meint und wie sie sich fühlt.....
Die Kunst ist - das Leben zu genießen, es sich schön zu machen....so gut es geht, in jeder Lage...
und unsere heutige Lage ist ja nicht mit der nach dem Krieg zu vergleichen (!) - es gibt heute etwas Schönes!
Und: es gibt immer einen Lichtpunkt, es gibt immer Hoffnung!

DAS ist die Botschaft meiner lieben Patentante - und ICH sehe das ganz genauso!

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P.S. in diesem Sommer hat meine liebe M. übrigens mein Enkelkind (7 Jahre) kennengelernt - und es war ein
sehr interessanter Austausch. Ich dachte mir: "Was für eine Begegnung! Habe ich selbst jemals Jemanden
kennengelernt, der fast 90 Jahre älter war als ich...??!"
Meinem Enkelsohn - er ist ein sehr aufgeweckter & kluger kleiner Junge - war diese Tragweite dennoch sicherlich
nicht ganz klar - doch ich dachte mir, wie DANKBAR wir sein können,
so einen Schatz von 97 Jahren in unserer Familie zu haben.... :-))

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Update April 2023:
Ich werde für immer dankbar sein, meine liebe M. in meinem Leben gehabt zu haben....

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