Categorie: Heimat

00. Germany

Kleines Vorwort:
Schon vor vielen Jahren - genauer gesagt 1996, also 7 Jahre nach der "Wende und dem Mauerfall" habe ich begonnen,
mit kleinen Geschichten Menschen aus dem DDR-Alltag zu erzählen.
Meist waren das Leute aus dem "Westen", die noch NIE PERSÖNLICH Kontakte zum Osten gehabt haben - nicht geschäftlich
und schon gar nicht (Zitat) "persönliche Kontakte jeglicher Art zu Menschen in Ostdeutschland"! (Zitatende) - wie mir oftmals
"versichert" wurde :-((
Dadurch - das merkte ich in Gesprächen immer wieder - gab es in ihren Augen "überhaupt kein Verständnis" für unsere
"ostdeutsche andere Mentalität"!

Am Anfang war alles "neu" gewesen - beiderseits - und man hatte sich mit offenen Armen begrüßt, wurde sowohl von der Politik
als auch von den Menschen "wohlwollend" empfangen....
Das änderte sich relativ schnell.....
Im täglichen Alltagseinerlei war keine Zeit für "lange Erklärungen" - und so wurde der "Ossi", wie die Leute aus Ostdeutschland
ja ziemlich schnell überall genannt wurden - mit Sätzen beleidigt wie "na, so was weiß doch JEDER!"
oder "geh doch mal
schnell Kaffee holen...ICH MACH DAS HIER SCHON....!"
Und man meinte damit, dass man das Inhaltliche/Geschäftliche
lieber den "Wessis" überlassen sollte..... :-(( !!!!!
Und damit war man automatisch in der Schublade "doofer Ossi" drin - so gut ausgebildet man auch immer sein mochte!

Mein Vater - der Gott sei Dank die Wende noch erlebt hat - hat damals immer am Telefon zu seinen Schwestern - die ja
nach wie vor im Westen Deutschlands lebten - gesagt, dass es ihnen genauso gehen würde, dass sie viele
Fragen hätten....
....wenn man von heute auf morgen "UNSER SYSTEM", sprich "den Sozialismus" bei IHNEN EINGEFÜHRT
hätte!!!!!!
Aber selbst innerhalb unserer eigenen Familie - zwischen dem "Teil Ost" und dem "Teil West" - herrschte
darüber Unverständnis! :-((



In Berlin erlebten die Leute die - erste - Zeit nach der Wende nochmal ganz "anders", nämlich "täglich hautnah"!!
Was meine ich damit?
Viele Menschen - auch ich - fuhren tagtäglich von Ostberlin nach Westberlin zur Arbeit - und abends wieder zurück.
Damit "pendelten" sie nicht nur zwischen Wohn- und Arbeitsort - was ja für Viele auch damals schon normal war - sondern
man pendelte auch zwischen OST und WEST, zwischen dem täglichen Leben in Ostberlin
und dem Leben "auf ganz anderem Niveau" in Westberlin.
Ein Beispiel aus dem Jahr 1991:  ich fuhr täglich morgens um 4.30 Uhr (!) mit der Straßenbahn im Ostteil der Stadt los,
stieg dann in die S-Bahn um, lief dann 10 Minuten zu Fuß über die Grenze, fuhr in Westberlin dann wieder mit der S-Bahn weiter...
und kam dann nach 10 Minuten Fußmarsch bei meinem Arbeitgeber - abgehetzt und die Haare "vom Winde verweht",
wie wir immer scherzhaft sagten, gegen 6.45 Uhr an. Ich ging schnell ins Büro, denn damals gab es noch "Stechkarten",
und ab 6.46 Uhr war man "zu spät" und bekam Ärger...
Meine westdeutschen Kolleginnen waren schon da, saßen "gestylt" am Schreibtisch und unterhielten sich, welche
Farbe der Handtücher am besten zu ihren Kacheln im Bad passte......während ich am Abend wieder zurück in Ostberlin war
und in unserer Wohnung kein Telefon hatte und mit elementaren Dingen kämpfte wie "alten Rohren", weshalb wir
keine neue Waschmaschine anschließen konnte, da das Wasser zu heiß für die Rohre war.
Und am nächsten Morgen hieß es gleich wieder: "Ach Frau Seel, Sie kommen doch aus dem Osten, können Sie mal ein TELEX
schicken, sowas hatten Sie doch noch....und hier ist dann auch gleich die Post zum Verteilen....!!!"
(Dass ich einen Studienabschluss hatte und von meinem damaligen Chef "andere" Aufgaben bekommen hatte, schien
Niemanden zu interessieren!)

Aber ich greife meiner Geschichte vor.
Jedenfalls habe ich damals - durch meine Erfahrungen in Westberlin und in den Jahren danach in Frankfurt/ Main - beschlossen,
"Begebenheiten"
aus Ostdeutschland aufzuschreiben - nicht deshalb, weil es viel "Unverstand" bzgl. des Ostens gab,
sondern weil ich auch
viele nette Kollegen und Bekannte hatte, die gern MEHR über die DDR-Zeit gewusst hätten
und die mir gegenüber
"ehrliches Interesse" zeigten.

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Lesen Sie also hier einen
Auszug aus meiner Erzählung "Die (fast) heile Welt" 
Ausschnitt Nr.1
aus "Das glückliche Kind":
"Die kleine Omi!"
Alle Personen haben tatsächlich gelebt. Die Namen wurden von mir zum Schutz der Privatsphäre ausnahmslos geändert.

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1. Das glückliche Kind
1.1. Die kleine Omi

Es war ein wunderschöner Sommertag.
Die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel, kein Lüftchen regte sich, und es war beinahe zu heiß.
Alina hüpfte den Weg entlang. Sie war gerade sechs Jahre alt und putzmunter.
"Komm doch, Omi, komm doch", rief sie, und ihr rotes Popelinekleidchen leuchtete.
Alma Seidel lächelte. Dieser kleine Wildfang, dachte sie, von wem hat sie nur das Temperament?
"Warte, mein Kind, Omi kann nicht so schnell!"
Aber Alina fing an zu laufen, wurde schneller und immer schneller. " Komm doch, Omi, komm doch, fang mich doch!"
Wenn sie doch nur einmal hören würde, dachte Alma Seidel, aber sie wusste, es half nichts.
Schon zu oft hatte ihr Sohn von seiner Tochter erzählt, wie sie ihm beim Spazieren gehen voraus gelaufen war
und sich dann eine lange Straße als "Rennstrecke" ausgesucht hatte. Dort war sie dann in jeden Garten, jedes Haus gelaufen
und hatte schelmisch bei den Leuten geklingelt. Der besorgte Vater hatte dann meistens hinterherlaufen und sie suchen
müssen, und beide kamen dann erschöpft zu Hause an. Ja, ihre Enkeltochter war schon ein kleiner Schabernack!

"Alina, warte doch, Omi will dir was zeigen!"
Alina war inzwischen auf einer großen Waldwiese gelandet. "Guck mal, Omi, was ich hier alles gefunden habe!"
Sie saß inmitten vieler bunter Blumen und pflückte einen großen Strauß.
"Und wie das duftet! Omi, duftet es im Wald immer so gut? Omi, da bist du ja!" rief das Mädchen
und lief der alten Frau freudig entgegen.Alina streckte ihre Arme aus und sagte:
"Du bist doch meine liebste kleine Omi. Guck mal, was ich für dich gepflückt habe!"
Alma Seidel freute sich. "Ach, ist der schön, mein Kind!"
Sie nahm das Mädchen an die Hand und ging mit ihm weiter in den Wald hinein. Es tat gut, die kühle Waldluft zu atmen,
und sie wusste, dass auch Alina gern im Wald spazieren ging.
"Was wolltest du mir denn zeigen, Omi?"
" Nun musst du warten, bis wir auf dem Rückweg sind. Du bist ja vorhin so schnell gelaufen!"

Es dauerte nicht lange, da kamen sie wieder auf die Lichtung mit den vielen Blumen,
und bald darauf waren sie wieder auf dem Heimweg.
So viele Male waren sie schon beide auf diesem Feldweg am Rande des Waldes entlang spaziert, und jedes Mal
sagte Alina an der gleichen Stelle: "Pst, Omi, hier ist es."

Diesen Platz mochten beide besonders gern: in der Mitte der Feldweg, links ein großes Kornfeld, rechts der Wald und
davor sechs oder sieben große Steine - Findlinge, wie man sie in dieser Gegend oft sah - inmitten von Scharfgarbe,
Kornblumen und rotem Mohn, und wenn die Sonne richtig hoch am Himmel stand und auf diese Steine schien,
lagen zur Mittagszeit ein paar Eidechsen in der Sonne, oder Marienkäfer krabbelten, oder es waren andere Käfer im Gras.
"Omi, es sind ja heute so viele!"
"Ja, ich weiß, mein Kind, heute ist es auch besonders heiß. Aber lass` uns nach Hause gehen,
Omi will sich ein bisschen ausruhen."

 *****

Langsam gingen sie den Weg zurück zum Dorf. Es war nicht weit bis zu den ersten Häusern gleich hinter dem Wald.
Das Dorf zählte nur ein paar hundert Einwohner - eine kleine Kirche mit Kirchhof, ein paar Fachwerkhäuser,
mehrere Bauernhöfe mit Ställen und Scheunen, dazu ein paar Gärten und ganz in der Nähe ein kleiner Fluss.

Das Haus, in dem Alma Seidel wohnte, lag direkt neben dem Kirchhof und war ein altes Fachwerkhaus.
Im Erdgeschoss war eine Küche, von der auf der einen Seite ein Raum abging, den ihre Nachbarin bewohnte,
und auf der anderen Seite der Küche lag ihr eigenes Zimmer - ein schmaler Raum, in dem ein Tisch mit Stühlen,
eine Kommode und ein Vertiko mit einem Radio standen.
Gleich neben der Tür von der Küche aus führte eine Treppe hinauf auf den Boden.
Allerlei alte Gegenstände, Truhen und anderer Hausrat standen auf dem rechten Teil herum.
Dieser gehörte der Nachbarin, jener alten Dame, die alles aufzuheben schien, deren Schränke mitten im Zimmer standen,
die aber herzensgut war und die Alina mit seltsamen Näschereien wie Sirup auf einem Zuckerstückchen erfreut hatte.

Im linken Teil des Bodens war ein kleines Kämmerchen. Dieses enthielt ein großes altes Bett, einen Schrank und einen Tisch
mit Waschgelegenheit und war Alma Seidels Besucherzimmer.
Alina hatte zuerst Angst gehabt, oben in dem großen Bett zu schlafen, aber dann hatte ihr die Omi Märchen vorgelesen,
oder sie hatten beide gesungen - und nun fühlte sie sich da oben wie Rapunzel in ihrem Turm.

Ja, manchmal hatte sie auch Angst, wenn sie die alten knarrenden Stufen hinauf ging oder in den linken Teil des Bodens sah,
aus dem immer Geräusche kamen oder an manchen Abenden, wenn es gewitterte, denn das Haus hatte keinen Blitzableiter.
Der Papi hatte ihr zwar schon oft erklärt, dass man bei Gewitter keine Angst zu haben brauchte, aber es half nichts,
und schließlich hatte die kleine Omi ja auch immer Angst und die war kein kleines Mädchen mehr.

Morgens schlief Alina immer sehr lange, meistens so lange, bis die kleine Omi sie weckte und schon das Frühstück fertig hatte.
Danach schlüpfte Alina in ihre Sandalen und spielte vor dem Haus oder panschte mit der großen grünen Pumpe,
die vor der Haustür stand. Die Nachbarin war die meiste Zeit in ihrem Garten neben der Pumpe beschäftigt,
und Alina sah sie nur selten durch die dichten Blätter ihrer Pflanzen.
Manchmal rief die Omi:" Komm, Alina, wir wollen Wasser holen."
Dann ging Alina gemeinsam mit ihrer Oma zum gegenüberliegenden Bauernhaus, um zwei Eimer Wasser zum Kochen zu holen,
denn es gab weder Abwasser noch Trinkwasser im Haus.

*****

An manchen Tagen war das Wasserholen sehr beschwerlich, und Alma dachte, es wäre schön,
wenn ich in der Stadt wohnen könnte.
Ihr Sohn Willi war vor einiger Zeit in die nahe Kreisstadt gezogen. Aber bei ihm konnte sie nicht wohnen. Er hatte nur eine kleine
Neubauwohnung, das reichte gerade für ihn und seine Frau und die kleine Alina.
Schon oft genug hatten sie versucht, eine kleine Wohnung in der Nähe zu finden – aber Wohnraum war knapp, und
"Wohnungssuchende von außerhalb bekamen sowieso nur selten den Zuzug zur Stadt“, wie es in der Amtssprache hieß.

Alma beklagte sich nicht. Sie war jetzt Mitte siebzig und hatte ein arbeitsreiches Leben hinter sich.
Ihr Mann war aus dem Krieg nicht zurückgekehrt und hatte sie und sechs Kinder allein gelassen, wovon der älteste Sohn
ebenfalls nicht wiederkehrte. So hatte sie ihre drei Töchter und zwei Söhne allein groß gezogen, und nachdem sie alle
ihre Heimat Pommern hatten verlassen müssen, hatten sie beide - Alma und ihr Sohn Willi - sich hier in der Prignitz
wiedergefunden. Es war ihre zweite Heimat geworden.
Die anderen Geschwister hatte es zum Teil nach Mecklenburg und zum anderen Teil nach Hessen verschlagen.

Alma Seidel war eine einfache, gottesfürchtige und herzensgute Frau. An den Sonntagen ging sie zum Gottesdienst in die Kirche,
und abends las sie in ihrem kleinen Gebetbuch.
Ihr ganzes Wesen strahlte Herzenswärme und Güte aus, und ihren Mitmenschen war es angenehm, in ihrer Nähe zu sein.
Von Natur aus schon nicht besonders groß und ganz schlank und zierlich, war sie mit zunehmendem Alter noch etwas kleiner
geworden - und sie freute sich, wenn sie von den engsten Verwandten liebevoll "die kleine Omi" genannt wurde.

*****

"Komm, Marie, lass` uns noch ein bisschen spazieren gehen", sagte Willi Seidel und nahm seine Frau bei der Hand.
"Es ist so ein schöner Abend, da kann ich einfach nicht in der Wohnung bleiben."
" Ja", sagte Marie, "das ist eine gute Idee" und nahm ihre Jacke und den Wohnungsschlüssel.
Sie hakte sich bei ihrem Mann ein, und langsam gingen beide durch das neu erbaute und gerade erst bezogene Wohngebiet
in ihrer Straße - das Neubaugebiet, wie es allgemein genannt wurde.
Ringsumher sah es noch wie auf einer riesigen Baustelle aus - noch keine befestigten Wege, nur kleine Lehmhügel und
Schlaglöcher mit Wasser, über die man Bretter als Steg zu den Haustüren gelegt hatte.
Vor den einzelnen Wohnblöcken, die im Stil der in den 60 er Jahren üblichen Plattenbauweise errichtet waren, lagen noch
Kabelrollen, Rohre und verschiedenes Bauzubehör.

Willi besah sich alles genau. Er liebte es, über Baustellen zu gehen und den Fortgang der Bauarbeiten zu verfolgen - es gab
im nahen Umkreis keine Baustelle, die er nicht kannte. Baustellen, Bauten..., Bauingenieur sein - ja, das war seine
geheime Leidenschaft!

Marie wusste das und hatte sich über die Jahre darauf eingestellt, jede neue Baustelle "inspizieren" zu müssen - sei es auch nur
am Abend für eine halbe Stunde "Rundgang".

"Schau, Marie, endlich sind die fertig, nun können sie bald anfangen, ein paar Bäume zu pflanzen und die Wege zu pflastern.“
Marie freute sich, nun würde ihr neues Wohngebiet eine schöne Umgebung haben mit Bäumen und Sträuchern und Spielplätzen
für die Kinder. Ja, auch Alina würde es bestimmt gefallen, und vielleicht brauchte sie dann nicht mehr in ihren alten
"Räubersachen" unter den Balkons mit "Modderpampe" zu spielen – dieser braune Lehm wusch sich beim Waschen
schlecht heraus.

"Ach, Marie", sagte Willi, "wenn ich doch nur Mutter herholen könnte.
Es wird so viel gebaut,
und noch immer reicht der Wohnraum nicht aus! Wenn man bedenkt, 40 Familien sind in einem Block,
und 10 neue Blöcke sind jetzt hier entstanden. Sie kann nicht länger im Dorf bleiben. Es ist dort für sie viel zu beschwerlich."

Marie wurde nachdenklich. Sie wusste, es war nicht leicht gewesen, diese Neubauwohnung zu bekommen.
Zuerst hatten sie in einer klitzekleinen Wohnung in der Altstadt gewohnt - mit Ofenheizung, ohne Bad und einer winzigen
Küche - bis es dann eines Tages mit dieser AWG- Wohnung geklappt hatte.
Sie hatten ihren Anteil in der Arbeiter - Wohn - Genossenschaft eingezahlt (einige Tausend Mark),
hatten „gemeinnützige Aufbaustunden“ wie sauber machen, Bäume pflanzen, Gitter streichen etc. geleistet und waren nun
glücklich in ihren 2 1/2 Zimmern mit Fernheizung, Bad und Balkon.
Es war nicht groß, aber ausreichend (ca. 53 Quadratmeter) - und mehr stand ja auch einer Familie mit 1 Kind nicht zu!

"Ja, Willi, ich weiß auch nicht, was wir machen sollen. Bei uns ist es auf die Dauer auch zu eng.
Alina braucht ihr Zimmer, und Mutter muss abends auch ihre Ruhe haben."
Sie fröstelte ein bisschen und schmiegte sich enger an ihren Mann.
Jetzt waren sie am Ende der Straße angekommen, wo sich eine große Obstplantage ausbreitete, und dahinter
begann der Wald.
"Willst du noch ein Stück durch den Wald gehen?"
"Ach, nein, heute nicht, lass` uns noch eine Runde durch die Berliner Straße drehen.
Ich habe dort heute Mittag ein leerstehendes Haus gesehen. Vielleicht kann man ja dort was mieten."

*****

"Omi, guck mal raus. Weißt du, wer jetzt kommt? Der Papi kommt! Der Papi kommt!"
Alina rannte den Gartenweg entlang geradewegs auf das Auto zu, das in der Einfahrt hielt.
Es war ein F9 - unten rot und oben mit einem weißen Dach - aus dem quietschvergnügt ihr Papi stieg.
"Na, ihr beiden, euch geht` s wohl gut“, sagte Willi und nahm seine Tochter und seine Mutter in den Arm.
" Papi, es ist so schön bei der kleinen Omi! Darf ich noch ein bisschen hier bleiben?" fragte Alina
und küsste ihren Papi auf die Wange.

"Wisst ihr beiden eigentlich, dass ich Urlaub habe? Ich wollte euch abholen und dann mit euch zum Schwimmen fahren.
Mutti wartet schon auf uns in der Badeanstalt."

Alina freute sich. Schnell holte sie ihren kleinen Rucksack, schlüpfte in ihre Sandalen und saß minutenspäter im Auto.
Unterwegs auf der Fahrt nach Perleberg war es sehr heiß. Alina schaute aus dem Fenster, und Willi und Alma
unterhielten sich leise.

"Ich war gestern noch mal beim Wohnungsamt", sagte Willi, "sie haben nichts, nicht mal ein einzelnes Zimmer."
"Omi, wo willst du denn hin? Willst du von ..... wegziehen?"
"Ja, mein Kind, in eure Nähe. Im Dorf bin ich doch so allein, und ihr könnt mich auch nicht immer besuchen.
Mutti und Papi haben ihre Arbeit, und du kommst bald in die Schule. Bei euch könnten wir uns gegenseitig öfter sehen."

Das leuchtete Alina ein. Sie liebte ihre kleine Omi über alles und wollte nicht, dass sie einsam war oder Kummer hatte.

"Ich habe Post von Marianne und Clementine", fuhr Willi fort. "Sie sind gerade mit den Kindern in Italien.
Schau dir nur das tiefblaue Meer an", sagte er und gab Alma die Urlaubskarte seiner beiden Schwestern.
"Papi, wo liegt Italien? Können wir da auch mal hinfahren?"
"Vorläufig wohl nicht", sagte Alma traurig.
"Warum nicht, haben wir dafür kein Geld?"
"Das ist es nicht, mein Kind", Alma machte eine Pause.
"Wir dürfen nicht, denn wir haben den Krieg verloren."
Alina verstand nicht und sah ihren Papi fragend an.
Willi schluckte und sagte: "Du weißt doch, Alina, wir wohnen in der DDR, und Tante Marianne und Tante Clementine
wohnen in Westdeutschland. Durch den Krieg gibt es dazwischen eine Grenze - und deshalb dürfen wir hier so gut wie
nirgendwohin fahren, wir dürfen unsere Geschwister ja nicht mal besuchen."

Willi blickte in die fragenden Augen seiner Tochter und wusste, dass sie ihn nicht verstand.
Abschließend sagte er: "Du bist noch zu klein, Alina, wenn du größer bist, werde ich es dir erklären."


*********** Fortsetzung folgt: "Das glückliche Kind - Auszug Nr. 2 Spaß haben, aber bloß nicht auffallen!" *********


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